Auch das Immunsystem kriegt „seine Tage"

Kennst Du das auch?

Zyklustag 10 – kurz vorm Eisprung – und Du sitzt in einem Bus voller hustender, schniefender Leute. Dir passiert: nichts. Dein Immunsystem bekommt jeden Virus klein. Pünktlich zur Regelblutung hingegen sieht es ganz anders aus. Da scheint Dich jede Erkältung förmlich anzuspringen. Wenn es besonders blöd läuft, hast Du Regelschmerzen, Fieber und Halsweh gleichzeitig. Na wunderbar!

Tatsächlich ist diese Konstellation aber alles andere als selten. Und das, sagen Wissenschaftler*innen, ist kein Zufall. In den letzten 20 Jahren zeigten zahlreiche Studien: Tatsächlich schießt die Immunabwehr in der zweiten Zyklushälfte weniger scharf. Denn in der Lutealphase – der Zeit zwischen Eisprung und Beginn der Regelblutung – fällt die Immunantwort auf Krankheitserreger milder aus. Nichts soll die Einnistung des Embryos gefährden.

Eine spannende Beziehung: Sexualhormone und Immunabwehr

Das Zusammenspiel der Hormone und der Immunabwehr der Frau ist noch nicht abschließend erforscht. Bereits bekannt ist, was der hohe Östrogenspiegel in der ersten Phase des Zyklus, der Follikelphase, bewirkt. Östrogen interagiert mit den Immunzellen – unter anderem, indem es an die Rezeptoren außen an diesen Zellen andockt, und indem es mit zellulären Prozessen im Inneren interagiert. Dadurch kommt es zu Entzündungsreaktionen und zur Abwehr möglicher Krankheitserreger1. Mädchen und Frauen haben – statistisch gesehen, Ausnahmen bestätigen die Regel – ein stärkeres Immunsystem als Männer und Jungen. In der ersten Zyklushälfte sind die Unterschiede somit besonders groß. Leider neigt der weibliche Teil der Bevölkerung auch eher zu Autoimmunerkrankungen, eine unerwünschte Wirkung der grandiosen Immunantwort2,3.

Pünktlich zum Eisprung dann sinkt der Östrogenspiegel ab, gleichzeitig steigt der Progesteronspiegel an. Auch das Testosteron hat in dieser Phase einen Einfluss, welcher das genau ist, wird noch erforscht. Jedenfalls regulieren diese Vorgänge das Immunsystem sanft herunter. Stark genug, dass viele Frauen mit Autoimmunerkrankungen sich wohler fühlen als vorher. Und so gravierend, dass eine befruchtete Eizelle nicht als Krankheitserreger missinterpretiert und attackiert werden kann. Leider kommt so auch mancher Schnupfen- oder Durchfallvirus an sein Ziel2.

Im Verlauf der zweiten Zyklusphase, der Lutealphase, steigen Östrogen und Progesteron gemeinsam an. Kurz vor dem Zeitpunkt, an dem Du (wenn Du nicht gerade schwanger werden willst) auf Deine Regel wartest, fallen die Spiegel sowohl von Östrogen als auch von Progesteron stark wieder ab. Dadurch wird Deine Immunabwehr kurzzeitig drastisch gedrosselt. Gut, wenn Du gerade ein Baby empfangen hast. Weniger gut, wenn Du kein Kind erwartest und im Bus oder Zug voller schniefender Zeitgenossen sitzt2.

Was noch zu erforschen bleibt

Leider sind noch keine Studienergebnisse erhältlich, die Aussagen darüber erlauben, wann Mädchen und Frauen sich am ehesten impfen lassen sollten. Denn es wäre interessant, zu erfahren, ob die Immunantwort und/oder die Impfreaktionen unterschiedlich ausfallen, je nachdem, ob die Spritze in der Luteal- oder der Follikelphase gesetzt wurde.

Noch zu erforschen ist zudem, wie die hormonelle Empfängnisverhütung sich auf die Immunantwort auswirkt. Schließlich enthält die „Pille“ künstliche Hormone. Bedeuten dauerhaft erhöhte Spiegel an Sexualhormonen weniger Infekte? Oder sind es im Gegenteil eher mehr? Es gibt Hinweise darauf, dass manche „Pille“, die nur Progestin, ein künstliches Progesteron, enthält, die Entzündungsreaktionen im Körper so drosselt, dass die Infektneigung zunimmt1. Auch hier sind jedoch viele Fragen offen.

In allen Phasen des Zyklus ist es sinnvoll, Dein Immunsystem zu stärken – etwa durch vitamin- und mineralienreiche Ernährung, viel frische Luft und Bewegung und ausreichend Schlaf. Doch die Forschung zur Zyklusabhängigkeit des Immunsystems legt nahe, dass es an manchen Tagen noch wichtiger ist, gut auf sich zu achten. Und vielleicht auch extra akribisch mit dem Sitz des Mund-Nasen-Schutzes, mit Abstand und Händehygiene zu sein.

Autor: Dr. Niels van de Roemer

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1.     Alvergne A, Tabor VH: Is Female Health Cyclical? Evolutionary Perspectives on Menstruation. arXiv preprint arXiv:1704.08590. 2017 Apr 26. https://www.cell.com/trends/ecology-evolution/fulltext/S0169-5347(18)30060-0?_returnURL=https%3A%2F%2Flinkinghub.elsevier.com%2Fretrieve%2Fpii%2FS0169534718300600%3Fshowall%3Dtrue

2.     Maegan Boutot: The immune system and the menstrual cycle, Helloclue 2018. https://helloclue.com/articles/cycle-a-z/the-immune-system-and-the-menstrual-cycle

3.     Oertelt-Prigione S. Immunology and the menstrual cycle. Autoimmunity reviews. 2012 May 31;11(6):A486-92, https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S1568997211002977